Marktübersicht: Überlebensanzüge: Welche gibt es, worauf muss man achten | YACHT

2023-02-16 15:57:21 By : Ms. Eileen Bai

Fürs Segeln unter sehr rauen Bedingungen und Kälte lohnen Trocken-Overalls, die auch beim Überbordgehen schützen. Damit lässt sich eventuell das Leben verlängern

Es geschah in einer Sturmnacht vor Mallorca: Mastbruch auf einem neuen Mini 650. Melwin Fink und sein Mitsegler Marc Menzenbach mussten ihr Boot aufgeben, das ohne Rigg und ohne Motor nicht mehr zu beherrschen war (siehe auch YACHT 10/2022). Die jungen Segler mussten ins 15 Grad kalte Wasser springen, um sich von einem Hubschrauber der mallorquinischen Seenot­rettung abbergen zu lassen.

Fink selbst sprang im Ölzeug, dem seekranken Crewmitglied Menzenbach gab er den einzigen Überlebensanzug an Bord. Das war ein TPS-Anzug von Guy Cotten. Ein besonders unter französischen Regattaseglern verbreitetes Produkt, dessen Ursprünge zwar in der SOLAS-Zertifizierung (International Convention for the Safety of the Life at Sea) liegen, das jedoch nie zertifiziert wurde. Auch nicht nach der ähnlichen Euronorm (siehe Kasten unten).

Das ist zweifellos verwirrend, aber die physikalische Grundüberlegung ist überall gleich und recht simpel: Gewöhnliches Ölzeug hält trocken und durch die isolierende Luft darunter warm, direkt auf der Haut wärmt die wasserabweisende Bekleidung beinahe gar nicht. Ein Gewirk aus Fleece stellt also ein gutes Verhältnis aus Flächengewicht, Bauschkraft und damit Isolationswirkung dar. Die Wärmeleitfähigkeit von Wasser ist 25-mal höher als die der Luft. Wird nach einem Überbordgehen eingeschlossene Luft durch Wasser ersetzt, droht deswegen Unterkühlung.

Melwin Fink erzählt uns: "Für die wenigen Minuten bis zum Abbergen machte mir das kalte Wasser nichts aus, aber im Helikopter konnte Marc seinen Anzug ausziehen und war darunter trocken, ich dagegen war nass und hatte ordentlich gefroren."

Beim gewöhnlichen Trockenanzug wird die Isolationsschicht zwar zusammengedrückt, vor allem an der Unterseite, aber diese Luftschicht bleibt erhalten. Sinnvoll sind deswegen die Aufblasventile, die beispielsweise in den Anzügen der Hersteller Musto und Guy Cotten verbaut sind; die Bereiche, in denen die Isolation lediglich die Materialdicke des getragenen Unterzeugs umfasst, werden durch das Aufpusten kleiner.

Taucher befüllen ihren Anzug bisweilen mit Argon, das fürs Erreichen größerer Tiefen ohnehin mitgeführt wird. Dessen Wärmeleitfähigkeit ist nochmals niedriger – ein Warmhalte-Trick, der Seglern verwehrt bleibt.

Viel Isolierung bedingt aber auch einen möglichen Hitzestau an Deck. Im Frühjahr ist das Wasser so kalt, dass sich viel Unterzeug empfehlen würde. Aber die Sonne erwärmt Anzug und Träger bisweilen zu stark. Bei der Saisonverlängerung im Herbst ist die Situation mitunter einfacher: An Bord ist es bereits empfindlich kalt, sodass viel Unterzeug ohnehin angeraten ist, während die Wassertemperatur nur langsam zum Winter hin absinkt – ein Abwägen also. Die Regularien für Regatten mit den kleinen Einhand-Racern vom Typ Mini 650 schreiben auf langen Passagen einen Überlebensanzug vor, dessen Leistung etwa den Schutzkategorien C bis D entspricht (siehe unten). Den haben alle an Bord, zusätzlich tragen viele einen – nicht genormten – Hochsee-Trockenanzug, der ebenfalls beim Überbordgehen vor Unterkühlung schützt, ausreichendes Unterzeug vorausgesetzt. Überwiegend solche Anzüge haben wir ausprobiert, siehe Tabelle. Damit sind bereits zwei Overalls an Bord, Tapio Lehtinen hat drei (siehe Interview). Zu aufwändig?

Lina Rixgens, Mini-650-Skipperin: "Ich trage meinen Musto-HPX-Ocean-Anzug, wenn ab 25 Knoten Wind entsprechend Welle überkommt, manchmal also mehrere Tage." Einen Neopren-Trockenanzug hat sie zusätzlich an Bord, schwört aber auf ihr Gore-Tex-Modell. "Der Trockenanzug ist in meinen Augen Gold wert. Gerade bei Arbeiten auf dem Vorschiff, wo schon mal eine Welle in die Stiefel schießen kann, bleibt man dank der Füßlinge trocken; aufgrund der wasserdichten Manschetten an Hals und Armen kommt auch dort kein Wasser rein." Die Manschetten bergen aber auch Probleme: "Eine Option mit Neopren-Manschette am Hals könnte den Komfort über mehrere Tage noch mal verbessern. Gerade mit Salzwasser kann es mit der Latexmanschette nach mehreren Tagen zu Scheuerstellen auf der Haut kommen. Durch den hohen Kragen und die Kapuze ist der Hals eigentlich schon gut vor Wasser geschützt. Da könnte eine Neopren-Manschette den Komfort verbessern." Ein menschliches Problemfeld: "Auf den Eimer gehe ich ganz normal, klappt mit ein bisschen Übung" – die von uns befragten Skipperinnen ziehen das einer Lösung mit Urintrichter aus dem Outdoorbedarf vor; mit Peezip ist damit Urinieren ohne das Ausziehen des Anzugs möglich.

Daniel Ackermann, der einen 5,60 Meter langen TriRaid 560S des Münchner Kon­strukteurs Klaus Metz baute und mit ihm am Race to Alaska teilnahm, berichtet: "Mit dem offenen Cockpit segelt das Boot sehr nass. Ich brauchte für das Rennen einen Trockenanzug und habe ihn fast die ganze Zeit getragen."

Ausrüster halten die teuren Anzüge kaum vor, verschiedene Modelle und Größen können eher beim Schwerwetter- und Überlebenstraining, zum Beispiel mit dem Anbieter Sailpartner, ausprobiert werden. Für etwa 300 bis 600 Euro gibt es Expertise, auch im Schwimmen mit Overall.

Wir haben acht Anzüge angefordert und ausprobiert. Viele der Details sind in den Beschreibungen der Hersteller gar nicht enthalten, die Vergleichbarkeit zwischen den Herstellern ist oftmals nicht gegeben, hier wollen wir sie schaffen.

Alle Modelle bis auf den Ursuit-Anzug RDS sind nicht gemäß der Euronorm geprüft. Das sehr aufwändige Verfahren lohnt nur für die größeren Verkaufszahlen im gewerblichen Bereich, bei der Rettung oder beim Angeln. Besser als kein Anzug sind sie dennoch. "Sicherheit war natürlich der Hauptpunkt", meint Jan Leon, Segellehrer der Hanseatischen Yachtschule Glücksburg, deshalb habe er sich für einen Ursuit-Gemino-Anzug entschieden: "Ich kann Knieschoner und Gesäßpolster einstecken, er steht dabei einem gewöhnlichen Ölzeug in nichts nach, auch der Preis ist ähnlich." Er berichtet von Freunden mit MPS-Unterziehanzug: "Sie haben ihn vor allem aus Kostengründen gewählt, und alle wollen als nächsten den Gemino anschaffen." Übrigens, wer sparen mag: Auf fierceturtle.co.uk werden viele Anzüge gebraucht angeboten.

Ersetzt solche Ausrüstung eine Rettungsinsel? Der Trockenanzug hält bereits bei der Bordarbeit wärmer, was ohnehin Sicherheit in Manövern verspricht. Beim Überbord­gehen sind die Vorteile abhängig vom Unterzeug. Beim geplanten Eintauchen, zum Beispiel zum Abbergen oder beim Sinken der Yacht, besteht außerdem meist Gelegenheit, vorher genügend Unterzeug anzulegen. In ihren Aufzeichnungen fand die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) keinen Fall eines Seglers mit Überlebensanzug. Aber einige, bei denen Crewmitglieder unterkühlt waren; alle wären mit der schützenden Bekleidung länger handlungsfähig geblieben.

Melwin Fink, der im Bordalltag gern Ölzeughose und Smock kombiniert, sagte uns auch: "Wenn wir mal wieder zu zweit unterwegs sind, werden zwei Überlebensanzüge an Bord sein."

Die Euronorm 15027 zertifiziert – neben den ähnlichen SOLAS-Bestimmungen – Überlebensanzüge. Im Ergonomietest springen sechs Probanden aus viereinhalb Metern ins Wasser, schwimmen 350 Meter und erklimmen eine Plattform. Dabei wird durch Auswiegen auch nach Leckagen geforscht. Für die thermische Prüfung wird bei den Probanden an 16 Prüfpunkten die Hauttempe­ratur gemessen und, rektal, die Körperkerntemperatur. Die Prozedur setzt die Probanden der Gefahr einer Unterkühlung aus, unvereinbar mit hiesigen Ethik­regeln. Deswegen testen in Deutschland die Hohenstein Laboratories mit "Charlie", einer Prüfpuppe aus Kupfer (oben). "Über separate Kreisläufe nimmt sie die Körper- und Hauttemperatur des Menschen an und misst die elektrische Leistung, die für den Temperaturerhalt nötig ist", erläutert Alina Bartels vom Prüf­institut die Funktion. Für die "A-Zertifizierung" darf die Körperkerntemperatur während 6 Stunden in 2 Grad kaltem Wasser nicht mehr als 2 Grad absinken, in der schwächsten Kategorie D erstreckt sich der Test bei 10 Grad Wassertemperatur nur über 2 Stunden. Für Kategorie C und D genügt oft Standard-Unterbekleidung aus Unterwäsche und zwei Wollpullovern. Höhere Kategorien verlangen dickeres Unterzeug. Die große Isolationsanforderung im Wasser birgt aber Hitzestau­gefahr beim Tragen über Wasser. Ein Abwägen also, insbesondere für aktive Yachtcrews.

Bis auf den Helly-Hansen-Anzug mit seinen etwas schwieriger anziehbaren Latex-Füßlingen (Foto) sind solche aus dem Anzug­gewebe Standard. Darunter können auch mehrere Sockenlagen für warme Füße sorgen, das benötigt aber größere Stiefel. Deutlich günstigere gewöhnliche aus nicht wasserdampfdurchlässigem Material genügen bei kalten Bedingungen meist (Test YACHT 22/2016). Der Slowene Igor Stropnik umsegelte das Nordkap in einer Fam-Jolle, über den ausgepolsterten Füßlingen trug er lediglich Freizeitsandalen, das funktionierte. Latex-Armmanschetten sind dichter als die aus Neopren, beim empfindlicheren Hals geben viele dem weicheren Neopren aber den Vorzug; durch hohen Kragen und Kapuze ist die Manschette dort geschützt, sodass die geringere Wasserdichtigkeit kaum bemerkbar ist. Tauchshops oder auch Dryfashion, Hersteller von Jollen-Trockenanzügen, bieten solche Umbauten an (70 Euro). Dort werden auch die anfälligen Latexdichtungen ersetzt (55 Euro). Ebenso Reißverschlüsse, die schwergängigen aus Metall gelten als solider, dagegen sind die leichteren Kunststoff­modelle oft mit Abdeckleisten verbaut. Michael Schnell, bei Frisch zuständig für die Musto-Produkte, sagt dazu, "die Anzüge werden auf den Langstreckenregatten sehr oft benutzt, und die Reißverschlüsse sind immer die größte Schwachstelle. Deswegen haben wir das robustere Metallmodell, das zudem druckdichter ist."

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